oHealth

Kapitel I

Bild mit Verlauf

Welche Bedeutung haben Gerüche für unser Wohlbefinden?

Geruchswahrnehmungen rufen in uns unmittelbar Emotionen hervor und können Stimmungen und Erinnerungen an längst vergangene Erlebnisse wecken. Ein Bewusstsein für die Bedeutung und Wirkung von Gerüchen eröffnet neue Gestaltungsräume, um unser Wohlbefinden zu beeinflussen.

In unserem Alltag gibt es drei grosse Geruchsräume, die wir fortlaufend hinsichtlich ihrer Qualität überprüfen und managene. Dies sind a) unser eigener Körper, b) unser persönliches und umittelbares Umfeld und c) den öffentlichen Raum, in dem wir uns bewegen.

Der Geruchssinn

«Der Geruchsinn dient uns zur Orientierung , schützt uns vor Gefahren und hilft uns bei der Partnerwahl.»

Beim Geruchssinn handelt es sich um den ältesten Sinn. Die ersten Lebewesen, die unseren Planeten bewohnten, orientierten sich mit seiner Hilfe in ihrer Umgebung. Auch heute noch unterstützt der Geruchssinn den Menschen in seinem Alltag. Zum einen schützt er uns vor potenziellen Gefahren wie Feuer und verdorbenen Lebensmitteln, zum anderen ist der Geruchssinn für die Partnerwahl von Bedeutung.

Menschen, Orte, Jahreszeiten und Ereignisse prägen wir uns auch über die daran gebundenen Gerüche ein und erkennen sie daran wieder. Nehmen wir einen Geruch wahr, den wir mit einem emotionalen Ereignis aus der Vergangenheit verbinden, vermag der Geruch in uns die daran geknüpften Stimmungen zu wecken. Im Positiven wie im Negativen.

Die bewusste Wahrnehmung eines Geruchs ist das Resultat eines komplexen olfaktorischen Systems in unserer Nase und unserem Gehirn. Gerüche können aus hunderten von Geruchsmolekülen bestehen, die sich an Geruchsrezeptoren in unserer Nase binden und damit Neuronen aktivieren, die einen Nervenimpuls zum Riechkolben in der olfaktorischen Hirnrinde erzeugen. In diesem Teil des Gehirns werden die Art, Qualität und Vertrautheit von Gerüchen bestimmt. Verorten lassen sich Gerüche auf der sogenannten Hedonik-Skala von äusserst unangenehm bis sehr angenehm und bezüglich ihrer Intensität von nicht wahrnehmbar bis intensiv wahrnehmbar. Die Geruchsschwelle, ab der wir einen Geruch wahrnehmen, hängt von der Empfindlichkeit unserer Nase ab und ist von Mensch zu Mensch verschieden.

Wie die anderen Sinne auch, kann der Geruchssinn durch Degeneration mit zunehmendem Alter oder durch Erkrankungen nachlassen, verschwinden oder sich verschieben. Im Gegensatz zum Seh- oder Hörsinn gibt es bislang keine Hilfsmittel, um den Geruchssinn zu unterstützen. In gewissen Fällen kann er durch bewusstes Riechen trainiert werden.

Mit dem Geruchssinn orientiert wir uns im Alltag. Unter anderem um zu erkennen ob Lebensmittel noch geniessbar sind. (Foto: Vorname Nachname)
Geruch und Wohlbefinden

«Kein anderer Sinn wirkt sich so unmittelbar auf unsere Emotionen und Stimmung und somit auf unser Wohlbefinden aus.»

Auch wenn sich Geruchswahrnehmungen oft nur schwer in Worte fassen lassen, ist ihre Wirkung auf unsere Emotionen, unser Verhalten und unsere Motivation einzigartig: Geruchsinformationen gelangen direkt in das limbische System, das eine grosse Rolle bei der Bildung unserer Emotionen, Stimmungen und Erinnerungen spielt. Erst danach wird der Sinnesreiz kognitiv und rational analysiert. Es ist deswegen einfacher zu sagen, ob man etwas gerne riecht oder nicht, als zu beschreiben, nach was es genau riecht.

Für unser Wohlbefinden spielen Gerüche im alltäglichen Leben eine zentrale Rolle. Durch die direkte Verbindung von Geruchsreizen zur Hirnregion, in der Emotionen und Erinnerungen verarbeitet werden, wirken sie unmittelbar auf unser emotionales Empfinden. Sie können damit indirekt Genesungsprozesse fördern oder unsere Kreativität und Leistungsfähigkeit beeinflussen.

Welchen Geruch man mag und wie empfindlich man auf unangenehme Gerüche reagiert, hat nichts mit richtig oder falsch, gut oder schlecht zu tun. Jede Person ist individuell – und so sind auch ihre Geruchswahrnehmungen und -präferenzen.

Eine Eigenschaft des Geruchssinnes ist, dass er mit Lernen, Emotionen und Erinnerungen verbunden ist. Emotionale Ereignisse und Erfahrungen werden auch mit dem im Moment wahrgenommenen Geruch abgespeichert. Diese Geruchserinnerungen sind individuell und persönlich. Dadurch können Geruchswahrnehmungen in uns Emotionen und Stimmungen hervorrufen, die lange zurückliegen, seien sie angenehmer oder unangenehmer Art. Der Geruch von frisch geschnittenem Gras kann bei einer Person zum Beispiel positive Erinnerungen aus der Kindheit auf dem Fussballplatz wecken, während die andere damit eher unerfreuliche Erlebnisse an die mühseligen Arbeiten beim Grasmähen auf dem Feld verbindet. Dieses Phänomen, dass über Gerüche Emotionen und Stimmungen in Bezug auf zurückliegende Ereignisse hervorgerufen werden, hat der Schriftsteller Marcel Proust beschrieben. Daher nennt man es auch das Proust-Phänomen.

Bewusste Geruchswahrnehmungen werden nicht einfach neutral und wertfrei wahrgenommen. Der Mensch überprüft und beurteilt den Körper, das private Wohnumfeld und die öffentlichen Räume, in denen er sich bewegt, fortlaufend hinsichtlich der olfaktorischen Qualität.

Gerüche spielen auch beim Genuss von Nahrungsmitteln eine wichtige Rolle, weil das Wohlbefinden daran geknüpft ist. In Kombination mit dem Geschmackssinn (süss, sauer, salzig, bitter, umami) entfaltet sich so das volle Geschmackserlebnis. Wenn wir erkältet sind und nichts mehr riechen, merken wir schnell, wie wichtig der Geruchssinn für das Genusserlebnis sein kann. Die wiederkehrenden Geruchsverluste während der Pandemie haben deutlich gezeigt, wie stark die Stimmung und das Wohlbefinden bei einer vorübergehenden Anosmie (Verlust des Geruchssinns) beeinträchtigt werden. Diese Anosmie kann wiederum einen Einfluss auf unseren Gesundheitszustand haben und mit Appetitlosigkeit und Depressionen verbunden sein.

«Wenn wir schon so ein tolles neues Gebäude haben, das nicht mehr an die alten Bilder von Pflegeeinrichtungen erinnert, dann wollen wir auch, dass es hier gut und angenehm riecht und sind bereit, dafür zu investieren.»

Marlis d’Aurelio, Pflegezentrum Heilig Kreuz

In neueren Gebäuden erinnert kaum noch etwas daran, dass man sich in einer Pflegeeinrichtung befindet. Auch auf der geruchssinnlichen Ebene nicht. (Foto: Vorname Nachname)

Trends

«Neue Bedürfnisse und Erwartungen an die Lebensphase der Pflegebedürftigkeit erfordern einen neuen Umgang mit Gerüchen im Pflegekontext.»

Der Geruchssinn wurde gegenüber den anderen Sinnen in der Wissenschaft lange vernachlässigt. Er galt als niederer animalischer Sinn. Seit der Nobelpreis 2004 an Forschende verliehen wurde, die den Geruchssinn untersuchten, erlebt er eine Renaissance. Sein Einfluss auf das Wohlbefinden wird in verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens und der Psychologie sowie in der Architektur unter dem Begriff «Healing Architecture» erforscht, und im Technologie- und Materialbereich entstehen neuartige Lösungen im Umgang mit und Einsatz von Gerüchen.

Parallel zu diesen Entwicklungen gewinnt das Thema Geruch mit dem Megatrend Gesundheit und Makrotrends wie Self-Care, Achtsamkeit und Wellbeing auch in der Bevölkerung zunehmend an Bedeutung. Dies zeigt sich an einer wachsenden Vielfalt von Pflege und Duftprodukten, die den Einsatz von Wohlgerüchen im privaten Wohnumfeld ermöglichen, um sich etwas Gutes zu tun und sein Wohlbefinden zu fördern.

In Anbetracht des demografischen Wandels und der neuen Bedürfnisse und Erwartungen an ein selbstbestimmtes und würdevolles Altern sind diese Entwicklungen für Pflegeeinrichtungen relevant. Das Thema Geruch beschäftigt Pflegende, Bewohnende und Angehörige in ihrem Alltag auf verschiedenen Ebenen (mehr dazu erfahren Sie in den folgenden Kapiteln II und III). Hinzu kommt, dass Alters- und Pflegeeinrichtungen nach wie vor das Stigma von unangenehmen, nicht klar definierbaren Gerüchen anhaftet.

Mit den geburtenstarken Jahrgängen der Babyboomer, die nun ins Alter der Pflegebedürftigkeit kommen, entstehen neue Bedürfnisse und Erwartungen an ein würdevolles Altern. Ihre Lebensstile unterscheiden sich von denen ihrer Eltern aus der Nachkriegsgeneration. Sie sind viel gereist, können sich mehr leisten, haben Freiheit und Selbstbestimmung als ihre Lebensmaxime definiert. Vor diesem Hintergrund stellen sie auch neue Ansprüche an die Lebensphase der Pflegebedürftigkeit.

Gerüche beeinflussen unsere Emotionen und unsere Handlungen im Tagesablauf, wir agieren und reagieren in Interaktion mit Geruchswahrnehmungen. Sie werden zu Hemmschwellen, um gewisse Räume zu betreten, sie beeinflussen die Konzentration von Mitarbeitenden, wenn sie als Störeinflüsse auftauchen, und die Geruchsatmosphäre trägt wesentlich zur Repräsentation der Einrichtung für interessierte Bewohnende und Angehörige bei. Das Wissen um diese Zusammenhänge erlaubt Pflegeeinrichtungen, auf die sich wandelnden Bedürfnisse einzugehen und eine angenehme olfaktorische Atmosphäre zu schaffen, welche die Wertschätzung gegenüber den Bewohnenden, Angehörigen und Mitarbeitenden unterstreicht.

Hochschule
Finanzierungspartner

Impressum, Datenschutz

©2024 ZHdK