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Kapitel II

Rosmarie Schenk,
Bewohnerin

Der Übergang von der angestammten Wohnung in eine Pflegeeinrichtung ist eines der herausforderndsten Lebensereignisse. Die damit einhergehenden Veränderungen zeigen sich auch auf der geruchssinnlichen Ebene. Anstelle der vertrauten Gerüche aus dem wohlbekannten Wohnumfeld treten fremde Gerüche aus dem Alltag der Pflegeeinrichtung.

Symbolhafte Darstellung zu den veränderten Geruchseinflüssen mit dem Übergang in eine Pflegeeinrichtung.

Bewohnende als Wahrnehmende der Geruchsumgebung

«Es gibt gewisse Gerüche, die brauche ich einfach um mich herum. Die gehören zu mir. Die sind ein Teil von mir.»

Der Übergang von der angestammten Wohnung in eine Pflegeeinrichtung ist eines der herausforderndsten Lebensereignisse. Das vertraute Umfeld und Gewohnheiten brechen weg, stattdessen treten neue Räume, Menschen und Abläufe in die Lebenswelt. Durch die eingeschränkte Mobilität gewinnt das Zimmer samt Bett für die Bewohnenden zunehmend als Lebensraum an Bedeutung.

Diese Veränderungen im neuen räumlichen und sozialen Gefüge konfrontiert Bewohnende auch mit neuen Geruchssituationen. Anstelle der vertrauten Geruchsumgebung in der eigenen Wohnung sind es nun vermehrt fremde und invasive Gerüche aus dem Pflegealltag, die sie wahrnehmen.

«Geborgenheit braucht Stallgeruch», schrieb ein Soziologe. Dieser vertraute Stallgeruch setzt sich aus den uns umgebenden materiellen Dingen, unseren Handlungen sowie den Körpergerüchen uns nahestehender Personen zusammen.
Einige Bewohnende schilderten, dass sie es schätzen, wenn ihre Bettwäsche nach ihnen selber riecht und nicht nach dem Waschmittel der Pflegeeinrichtung. Dies zeigt, wie wichtig ein vertrauter Geruch für das Gefühl von Geborgenheit sein kann.

Nebst der materiellen Umgebung, die einen Einfluss auf die neue Geruchsumgebung hat, ist es auch das neue soziale Umfeld. Während vor dem Eintritt die meisten Bewohnenden allein oder zu zweit lebten, ist man in einer Pflegeeinrichtung Teil einer grösseren sozialen Gemeinschaft.

Eine Bewohnerin, die im Rollstuhl sitzt und zum Aufstehen auf die Hilfe der Pflege angewiesen ist, schilderte eine Episode mit einem Pfleger. Jedes Mal, wenn er bei ihr im Zimmer war, habe es danach im ganzen Zimmer nach Schweiss gerochen. Sie wusste nicht, wie sie die Situation lösen sollte. Ihrer Tochter hatte sie den Vorschlag unterbreitet, dem Pfleger ein Deo zu schenken. Doch diese war der Ansicht, dass ihre Mutter das nicht machen könne. Zwar hat sich das Problem dann selbst erledigt, nachdem der Pfleger in eine andere Abteilung wechselte. Das Beispiel zeigt aber, wie Bewohnende in ihrem letzten privaten Wohnumfeld fremden invasiven Gerüchen ausgesetzt sein können. Wenn es aufgrund eines Zwischenfalls in den Gängen oder im Lift z. B. nach Erbrochenem riecht, können sie sich solchen und ähnlichen Situationen vielleicht noch entziehen. Doch wenn es im eigenen Zimmer unangenehm riecht, wird es schwierig.

Weitere Schilderungen betreffen die Gerüche der Mitbewohnenden. Aufgrund von Krankheiten, Medikamenten und Inkontinenz kann es dazu kommen, dass sich der Körpergeruch von Personen verändert und von Mitmenschen als unangenehm empfunden wird. Dies kann dazu führen, dass diese Personen von anderen gemieden werden und niemand zusammen mit ihnen den Lift benutzen möchte. Diese gesundheitlich bedingten Körpergerüche werden im Allgemeinen jedoch noch eher akzeptiert. Wenn die Toleranz und Akzeptanz schneller enden, dann handelt es sich häufig um unangenehme Gerüche aufgrund mangelnder Körperhygiene. Aber auch diese werden höchst unterschiedlich empfunden. Für Pflegeeinrichtungen ist es oft immer ein Abwägen zwischen dem individuellen Interesse einer Person, wie oft sie sich z. B. duschen und die Kleider wechseln will, und dem öffentlichen Interesse der Mitmenschen.

Mit nachlassender kognitiver Leistung und steigendem Pflege- und Betreuungsbedarf kann es den Betroffenen schwer fallen, ihr Umfeld und ihre vertraute Geruchsumgebung selber zu gestalten. Umso wichtiger ist es, dass aufmerksame Angehörige und Pflegende sich der Präferenzen und Bedeutung der Geruchswahrnehmungen der Person bewusst sind und ermöglichen, vertraute Dinge und Gewohnheiten und die daran gebundenen Gerüche in den Alltag zu integrieren, wie z. B. durch die weitere Nutzung von gewohnten Pflege- und Kosmetikprodukten wie Duschgels, Parfüms, Zahnpasta etc.

Bewohnende als Gestalter:innen des Geruchsumfeld

«Pflegeeinrichtungen sind ein Sammelsurium von vielfältigen Biografien und somit auch von vielfältigen Geruchsvorstellungen.»

Wie alle Menschen in einer Pflegeeinrichtung beeinflussen auch die Bewohnenden die Geruchsumgebung. Mit den unterschiedlichen Biografien geht so eine grosse Vielfalt an Geruchsvorlieben und -vorstellungen einher.

Aus diesem Grund kann es vorkommen, dass Bewohnende aus früherer Zeit gewohnt waren, nur sporadisch zu duschen, während andere Bewohnende einen hohen Anspruch an ihre Körperhygiene stellen. Dies kann in den öffentlichen Bereichen wie im Speisesaal zu Diskussionen führen.

Das Thema Körpergerüche und Hygiene gewinnt besonders mit zunehmendem Pflege- und Betreuungsbedarf an Bedeutung. Wenn sich Personen bewusst sind, dass sie z. B. aufgrund von Inkontinenz unangenehm riechen, kann dies dazu führen, dass sie sich sozial isolieren, weil sie verunsichert sind. Andererseits kann es auch vorkommen, dass sich Personen nicht bewusst sind, andere Personen durch ihre Ausdünstungen zu stören. Denn auch der Geruchssinn kann wie der Hör- und Sehsinn mit zunehmendem Alter nachlassen.

Nebst dem Körper als kleinstem Geruchsraum ist das Bewohnendenzimmer der Ort, den sie nebst ihrem Körpergeruch durch ihre Handlungen, Aktivitäten und die Einrichtung mit privaten Dingen mitprägen. Da das Bewohnendenzimmer gleichzeitig ihr Privatraum und der Arbeitsort für die Mitarbeitenden ist, birgt dieser Ort Potenzial für Missverständnisse und Spannungen. So möchten Bewohnende ihre alten Teppiche oder ein Sofa aus ihrem früheren Domizil möglicherweise behalten und beim Umzug mitnehmen, da daran vielleicht kostbare Erinnerungen hängen. Die Verantwortlichen in den Pflegeeinrichtungen hingegen können der Ansicht sein, dass ein solches Mobiliar aus hygienischer Sicht grenzwertig ist. Ebenso kann das Lüften einen Konflikt auslösen, wenn z. B. die Pflegenden gerne kurz die Fenster öffnen möchten, die Bewohnenden jedoch keinen Grund dazu sehen oder auch Angst haben zu frieren.

Für Bewohnende wie für alle Personen in Pflegeeinrichtungen gilt es, eine gewisse Toleranz gegenüber fremden und neuen Gerüchen mitzubringen sowie möglichst Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer zu nehmen.

«Es gibt gewisse Gerüche die brauche ich einfach um mich herum. Die gehören zu mir. Die sind ein Teil von mir.»

Bewohnerin, Alterszentrum Haus Tabea

Mit dem Umzug in eine Pflegeinrichtung verändern sich die Platzverhältnisse. Aktivitäten, Handlungen 
und persönliche Dinge wie Tische, Teppiche, Kleider, Schuhe, Bettwäsche etc. ist alles auf einem Raum konzentriert und beeinflusst den Zimmergeruch.

Kapitel II

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